Wahlrecht ab null Jahren

Beschluss des X. Bundeskongresses am 21.-23. April 2017 in Leipzig

Die Debatte um Mindestwahlalter ist momentan wieder abgeflaut und nicht mehr in den Medien präsent. Dennoch sollte das Mindestwahlalter gerade in Bezug auf die kommende Bundestagswahl wieder Beachtung finden.

Freie und gleiche Wahlen, aber noch nie für alle
In Deutschland ist das Wahlrecht durch die Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sowie des UN-Zivilpakt ein demokratische legitimiertes Menschenrecht. Somit steht nach unserem Verständnis allen Personen, welche in Deutschland leben das Recht zu wählen zu. Allerdings wird 12,91 Millionen Menschen in Deutschland dieses Recht verwehrt. Dies liegt an der willkürlichen Festlegung, dass nur Personen über 18 Jahren in Deutschland wählen dürfen. Wie willkürlich diese Festlegung ist, zeigt ein Blick in die Geschichte des Wahlalters in Deutschland.
1945 wurde das Wahlrecht von 20 auf 21 Jahre erhöht, nur um 25 Jahre später auf 18 Jahre gesenkt zu werden. 1974 wird das passive Wahlrecht dem angepasst. Niedersachsen setzt 1995 das Wahlalter auf kommunaler Ebene auf 16 Jahre fest. Bremen und Brandenburg folgen dem Trend und erlauben Wahlen auf Landesebene 2009 bzw. 2011 ab 16 Jahren. All diese Festlegungen erfolgen ohne konkrete Begründung. Diese Altersgruppen werden lediglich nun auch für (begrenzt) mündig gehalten. Diese Grenzen stehen ebenso im Gegensatz zu dem Strafmündigkeitsalter von 14 Jahren.
Die Geschichte demokratischer Wahlen zeigt ebenso, dass eine Festlegung von willkürlichen Hürden zur Wahl immer ein Mittel war, um bestimmte Bevölkerungsgruppen von der öffentlichen Meinungsbildung auszuschließen. Sei es der Ausschluss von Frauen* (der in der Schweiz bis 1971 anhielt!), Personen ohne Besitz, Personen mit geringem Steueraufkommen oder Personen, welchen eine bestimmte Ethnie oder Rasse zugeschrieben wurde.
Eine der Gruppen, die immer noch ausgeschlossen sind, sind eben Personen unter 18 Jahren. Diese Festlegung wird auch nicht weiter begründet, sondern durch eine historische Gewachsenheit verteidigt. Diese ist offensichtlich nicht gegeben.

Wählen dürfen nur “reife Menschen”
Häufig wird das Argument angeführt, dass Kinder einfach nicht reif genug seien zu wählen. Allerdings hängt Reife und Alter eines Menschen nicht zusammen. Es gibt Personen jeglichen Alters, welche sich noch nicht oder nie mit Politik beschäftigt haben und genauso Personen, welche bestens informiert sind. Allerdings wird diese Frage nur bei Personen unter 18 Jahren aufgeworfen. So kann ein Mensch unter 18 Jahren sehr informiert sein und genau wissen, wen und warum ersie wählt, während Personen über 18 Jahren einfach zufällig ein Kreuz machen können, ohne sich vorher zu informieren. Niemand versucht einemeiner Wählerin das Wahlrecht zu entziehen, wenn dieser sich nicht informiert hat. Diese Sonderbehandlung gibt es nur bei Kindern.
Fraglos gibt es viele Kinder, welche sich nicht mit Politik auskennen und auch kein Interesse an ihr haben. Dies ist bei Personen über 18 Jahren allerdings ebenso der Fall. Desinteresse kann aber kein Argument sein, da es keine Wahlpflicht gibt. So können auch Erwachsene, welche sich nicht für die Politik oder die Gesellschaft interessieren, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Deswegen wird ihnen dieses aber nicht entzogen. Niemand muss wählen, aber jede*r sollte wählen dürfen.
Ein Wahlrecht für Kinder würde auch direkt dazu führen, dass sich der Umgang mit Kindern von Politik und Gesellschaft ändern müsste. So müssten Reden, Wahlprogramme und Grundsatzprogramme so geschrieben werden, dass auch Kinder sie verstehen, da diese als potenzielle Wähler*innen ebenso geworben werden müssen. Die oft verklausulierte Politiksprache müsste gegen eine leichtere, allgemein verständliche Alltagssprache eingetauscht werden, wovon Personen aller Altersgruppen profitieren dürften. Ebenso würden sich kinderrechtliche Forderungen endlich vermehrt in Wahlprogrammen wiederfinden. Auch der Blick auf das Schul- und Bildungswesen wäre ein anderer.
Ein weiterer Einwand gegen das Kinderwahlrecht ist, dass diese leichter zu beeinflussen seien. Allerdings sind Personen über 18 Jahren ebenso beeinflussbar. Ansonsten wäre jegliche Wahlwerbung nutzlos, da sie keine Wirkung auf die Personen hätte. Kinder sind auch leichter beeinflussbar, da diese sich bisher wahrscheinlich eher weniger Gedanken über Politik gemacht haben, da ihre Meinung sowieso als irrelevant angesehen wird. Ebenso ist die Befürchtung Kinder würden einfach das wählen, was ihre Eltern ihnen vorgeben ungerechtfertigt. Zum einen trifft dieser Vorwurf momentan wahrscheinlich auch auf sehr viele Personen über 18 Jahre zu und zum anderen liegt die letzte Entscheidung immer bei der wählenden Person. Der Vorwurf, dass Personen einfach nur wählen würden, was ihnen von einem Elternteil vorgegeben wird, stellt auch eine direkte Parallele dazu dar, dass bei der Einführung des Frauenwahlrechts argumentiert wurde, dass Frauen nur wählen würden, was der Mann ihnen vorgeben würde.
Das Argument, dass Kinder vermehrt “extremistische Parteien” wählen würden und deshalb nicht wählen sollten, ist ebenso absurd. Einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihres Wahlverhaltens das Wahlrecht zu entziehen ist zutiefst undemokratisch. Darüber hinaus sollten die Gründe für ein solches Wahlverhalten bedacht werden. Zu den “extremistischen Parteien”, die nach populärer Ansicht überrepräsentiert sind, gehörten vor allem rechtsradikale Parteien wie die NPD. Diese hat gezielt versucht, mit Aktionen wie Schulhof-CDs junge Menschen für ihre menschenverachtende Politik zu gewinnen. Sie waren erfolgreich, weil sie weitestgehend die einzige Partei war, die versucht hat schon früh mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten. Allerdings hat die NPD durch den Aufstieg der AfD an Bedeutung eingebüßt und dieser Punkt hat an Aktualität eingebüßt.
Ein weiteres Argument der Befürworter von Wahlaltersgrenzen ist, dass der Jugendschutz dafür sorgt, dass Kinder besonders geschützt werden. So ist ein Kind erst mit 14 Jahren strafmündig und es gilt das Jugendschutzgesetz. Folglich sollten Kinder auch nicht schon mit null Jahren das Wahlrecht gewährt werden. Allerdings ist der Vergleich hier absurd. Bei Gesetzen wie Jugendschutz oder Strafmündigkeit geht es tatsächlich um den Schutz von Kindern. Beim Wahlrecht dagegen geht es nicht um den Schutz. Denn es gibt keinen Grund, warum man Menschen vor dem Recht zu wählen schützen sollte.

Generationengerechtigkeit
Politik wird schon immer von alten Männern dominiert. Diese Dominanz der alten Generation wird in den nächsten Jahren deutlich zunehmen, da die deutschen Gesellschaft altert. So werden laut Prognosen bis 2050 40% der Bevölkerung 60 Jahre oder älter sein. Dieses gesellschaftliche Ungleichgewicht wird in der repräsentativen Demokratie noch dadurch verstärkt, dass ein Großteil der jungen Menschen – nämlich die unter 18-jährigen – nicht repräsentiert werden. Insbesondere bei akuten Gefahren wie Klimawandel und Krieg dürfen junge Menschen nicht mitentscheiden. Diese Probleme werden von alten Menschen diskutiert, die nicht mit den Folgen leben müssen.
Die Absurdität zeigt sich auch beispielhaft an der Debatte über die Wehrpflicht. Personen welche in ihrem Leben noch nicht die Chance hatten bei einer Wahl Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, mussten sich trotzdem der Wehrpflicht beugen. Natürlich sind Wahlen nicht das einzige Mittel der Einflussnahme auf die Politik, allerdings sollte ihre Bedeutung und Verbindlichkeit beachtet werden.
Durch die Nichtbeachtung von Kindern bei der Wahl kann diese auch kein repräsentatives Stimmungsbild abgeben. Da ein Teil der Gesellschaft ausgeschlossen ist, wird die gesellschaftliche Vielfalt nicht korrekt abgebildet. Gerade in Themen der Akzeptanz und Toleranz von nicht normgerechten Lebensformen sind junge Menschen deutlich offener als die ältere Generation. Dies zeigt sich unter anderem an der Debatte über gleichgeschlechtliche Ehe, bei der junge Menschen eine Öffnung der Ehe für alle mit einer deutlichen Mehrheit befürworten, während alte Menschen diese blockieren. Solche Konflikte werden durch das Mindestalter bei Wahlen nur noch mehr von der älteren Generation dominiert.

Kinderparlamente und Stellvertreter*innenwahlrecht
In einigen Städten und Gemeinden existieren sogenannte Kinder- oder Jugendparlamente. Diese sollen Kindern und Jugendlichen suggerieren, dass sie am politischen Leben teilhaben und ihre Stimme auch ins Gewicht fällt. Allerdings sind solche Parlamente kein Ersatz für ein vollwertiges Wahlrecht für alle Menschen. Es geht nicht darum, dass Kinder und Jugendliche mit einem Politikspiel oder einer Alibiveranstaltung abgespeist werden, sondern, dass sie als vollwertige Menschen anerkannt werden. Analog haben sich auch Frauen* nicht mit einem Frauen*parlament oder Renter*innen mit einem Renter*innenparlament zufrieden gegeben.
Das Modell des Stellvertreterinnenwahlrecht ist ebenfalls abzulehnen. Dabei würde das Wahlrecht auf eine ältere Person übertragen, bis das Mindestwahlalter erreicht ist und das Kind oder derdie Jugendliche das Wahlrecht selbstständig ausführen darf. Dies stellt keine wirkliche Verbesserung dar, da das Interesse von Eltern oder ähnlichen Stellvertreter*innen oft nicht dasselbe Interesse, wie das des Kindes ist. Zudem widerspricht ein solches Wahlrecht auch den Grundsätzen einer freien und direkten Wahl.
In der Konsequenz fordern wir die linksjugend [‘solid] die Abschaffung eines Mindestwahlalters. Das Mindestwahlalter basiert auf adultistischen Vorurteilen und es ist vollkommen willkürlich festgelegt. Wie dargestellt muss die Forderung sein, dass das Mindestwahlalter vollkommen abgeschafft wird und jedem Menschen in Deutschland muss die Möglichkeit gegeben werden, sich für eine Wahl registrieren zu lassen und dadurch in dieser zu wählen. Eine Herabsenkung des Wahlalters ist kritisch zu befürworten. Es geht uns zwar um eine qualitative Änderung und nicht eine quantitative, allerdings ist dies zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.
Das Wahlrecht muss nicht nur unabhängig von “Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand”, sondern auch explizit unabhängig vom Alter gewährt werden.

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