Betroffen sind einige – gemeint sind wir alle!
Antikapitalismus?- du gemeingefährliche ExtremistinWir schreiben und reden viel von der Hufeisentheorie, aber inwiefern kann man davon betroffen sein? Es kann so einfach sein und zur Folge haben, dass man im Verfassungsschutzbericht erscheint.
Es reicht schon zu schreiben, dass „Wohnen ein Menschenrecht“ sei. So ist es in Baden-Württenberg passiert: Dort stehen die Linksjugend [’solid] Baden-Württenberg und Die Linke.SDS im VS-Bericht. Sie stehen dort natürlich nicht nur wegen dieser absolut richtigen Aussage drin, sondern auch, weil sie richtig erkannt haben, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist und es Alternativen gibt.
Der SDS steht ebenfalls im Bericht, weil er gegen das neue Polizeigesetz demonstrierte und in dem Rahmen mit der Roten Hilfe eine Veranstaltung organisierte.
Welcome to Bayern
Aber nicht nur in Baden-Württenberg werden Genoss:innen beobachtet. Auch im Nachbarbundesland Bayern, was seit jeher eine repressive Linie gegen Links fährt, ist die Linksjugend und der SDS von dieser Linie betroffen. Dort stehen auch die Linksjugend [’solid] und der SDS im Verfassungsschutzbericht,
da diese den Kapitalismus überwinden und sich für Umweltschutz einsetzen. Ganz in der Tradition des unter Willy Brandt eingeführten Radikalenerlass, hat Bayern eine „Bekanntmachung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“. Neben unseren Genoss:innen stehen da auch so „sympathische“ Gruppen wie die NPD oder Scientology in dem vierseitigen Dokument. Diese Bekanntmachung hat ganz praktische Folgen: Benedikt Glasl ist angehender Lehrer. Als Student und Mitglied der linksjugend[’solid] bzw. dessen Studierendenverband SDS hat er sich gegen Studiengebühren und militärischer Forschung an der Universität engagiert. Als er nach seinem Studium das notwendige Referendariat machen wollte, wurde ihm das verwehrt, obwohl er die zuständige Bezirksregierung von seiner Verfassungstreue überzeugt hatte.
Das Kultusministerium des Landes lehnte ihn aufgrund seiner beschrieben Aktivitäten ab. Er klagte und bekam Recht. Sein Fall ist aber kein Einzelfall.
Viele angehende Lehrer:innen haben in Bayern eine große Angst vor den Konsequenzen und verzichten von vornherein auf politisches Engagement, da sie nicht ihre gesamte Zukunft von einem Gerichtsverfahren abhängig machen wollen.
Terroristen-Anwält:innen und Gefährder-Ökos?
Natürlich trifft es nicht nur unsere Strukturen. Ein weiteres Beispiel ist die bereits erwähnte Rote Hilfe, eine bundesweit aktive „parteiunabhängige strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation“ mit über 10.000 Mitgliedern. Sie wird in allen Bundesländern, sowie vom Bund in den Berichten aufgeführt. Obwohl sie nur Genoss:innen unterstützen, die von Repressionen finanziell unterstützt werden, werden sie immer wieder als „gewaltorientiert“ bezeichnet. (Der Verfassungsschutz in Bremen musste das inzwischen nach einem Urteil zurücknehmen). Aus dieser Begründung heraus versuchten Hessen und Baden-Württemberg Michael Csaszkóczy eine Einstellung als Lehrer zu verweigern und erteilten ihm so faktisch ein Berufsverbot. Hier haben Gerichte ebenfalls erst nach über drei Jahren entschieden, dass er eingestellt werden muss.
Auch die Umweltbewegung ist von den Folgen der Extremismustheorie betroffen. Ende Gelände wird vom Berliner Verfassungsschutz vorgeworfen, gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu sein. Sie fordern nicht etwa, Menschen aufgrund ihres Geburtsortes oder Aussehen zu benachteiligen, sondern einen sofortigen Kohleausstieg und einen Systemwandel („System Change not Climate Change“). Hier wird sichtbar, dass für den VS der Kapitalismus automatisch mit Demokratie und Freiheit gleichgesetzt wird und keine Alternativen zugelassen werden. In dieser Denke warnte u.a. der Verfassungsschutz Hamburg vor möglichen Einflussnahmen von „Linksextremisten“ bei Fridays for Future und sprach ihnen gleichzeitig ein Interesse am Klimaschutz ab. Die Gewerkschaft der deutschen Polizei (GdP) Hamburg forderte sogar, dass sich Fridays for Future zum „Rechtsstaat“ bekennen solle.
Nicht nur Aktivist:innen sind betroffen
Aber nicht nur linke Gruppierungen werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Nein, auch Bands werden von den fleißigen deutschen Beamt:innen beobachtet. Es ist eine lustige Vorstellung, dass in verstaubten Amtsstuben „linksextreme“ Musik zu „Recherchezwecken“ gehört wird, aber dennoch haben diese Beobachtungen Folgen für die Bands und die Veranstaltungsorte, wo sie auftreten. Mehreren Bands ist dies 2019 in Sachsen passiert: So standen im VS-Bericht für das Jahr 2018 11 Bands, die als „Linksextrem“ galten. Von rechtsradikalen Bands hingegen stand im Bericht nichts.
Insbesondere eine der linken Bands, die Dresdner Punkband „east german beauties“, war besonders betroffen. So kam es, ausgehend von einen Klick auf „Interessiert“ durch den Zwickauer Bürgermeister bei einer Facebook-Veranstaltung mit ihnen zu einen kleinen Skandal. Die „Sächische.de“ nannte es: „Gewaltiger Eklat um einen Facebook-Klick“. So kam es dazu, dass die „Extremismusbeauftragte“ des Landkreises Mittelsachsen zu einer Absage der Veranstaltung drängte, damit der Jugendclub die Förderung nicht verlieren würde.
Der gleichen Beauftragten sollten bei einer anderen Location Set-Listen zu Durchsicht eingereicht werden. So ein Verhalten stellt eine Erpressung und die Einschränkung der Jugendarbeit dar. „east german beauties“ und drei andere Bands klagten schlussendlich gegen die Nennung und bekamen Recht. Jedoch kam es laut den Bands in der Zwischenzeit zu Schikanen, u.a. durch das Bauamt, durch Polizeipräsenz, Auftrittsverboten und abgesagten Veranstaltungen. Zum Schluss noch eine „witzige“ Anekdote: Die Polizei in Sachsen listet drei Mal in ihrer Statistik zu politisch motivierter Gewalt Pizzabestellungen als linksextreme Straftat auf. An den zahlreichen Beispielen sieht man, dass die Folgen einer unwissenschaftlichen Extremismustheorie jede:n treffen können, der:die sich auch nur im entferntesten als links versteht und/oder aktiv in linken Strukturen ist.