Beschluss des VI. Bundeskongresses am 26.-28. April 2013 in Magdeburg
Ungarn entwickelte sich unter Führung Viktor Orbáns zu einem autoritär-völkischen Staat. Mit der Neuerung der Verfassung am 11. März 2013 ist diese traurige politische Realität Schwarz auf Weiß niedergeschrieben. Fortan kann das Verfassungsgericht nicht mehr inhaltlich Gesetze nach Verfassungstauglichkeit beanstanden, sondern nur noch formell nach Gesetzgebungsprozedur. Die inhaltliche Überprüfung obliegt nun dem ungarischen Parlament, in dem Viktor Orbáns Partei Fidesz über eine Zweidrittelmehrheit verfügt. Auf diese Mehrheit stützt sich der Premierminister Orbán, der bereits mit der neuen Verfassung vom 1. Januar 2012 sämtliche Kompetenzen regeln kann, die nicht explizit Aufgabe eines anderen Staatsorganes sind.
Dieses autoritäre Politikverständnis ist keinesfalls neu und trat bereits mit der Fidesz-Wahlniederlage von 2002 offen zu Tage: So sprach Orbán der damaligen Regierungsmehrheit von Sozialisten und Liberalen die Legitimität ab, weil sie in seinen Augen als „nichtungarisch“ galt. Folglich gab Orbán bekannt, dass eine Nation in Verkörperung seiner Partei Fidesz nicht in der Opposition sein könne, auch wenn sie keine Mehrheit habe.
Im April 2010 übernahmen Orbán und seine Partei wieder die Macht, nachdem Ungarn von der Finanzkrise erschüttert wurde. Seitdem verfolgt Orbán das Ziel, den Staat und die Medien ganz unter seine Kontrolle zu bringen: Kompetenzen von Gerichten werden beschnitten, neue Aufsichtsbehörden für Medien geschaffen und von Fidesz-Funktionären für ungewöhnlich lange Zeiträume besetzt. Sensible politische Bereiche werden überkonstitutionalisiert – entsprechende Beschlüsse sind damit selbst nach einer möglichen Abwahl Viktor Orbáns faktisch unumkehrbar.
Mit der von Orbán ausgerufenen „Konservativen Revolution“ ist Ungarn auf dem Weg in ein autoritäres Regime, das aus seiner antisemitischen und revisionistischen Ideologie keinen Hehl macht: So ist mit der neuen Verfassung der 4. Juni zu einem weiteren Nationalfeiertag ausgerufen worden, um der Unterzeichnung des Vertrages von Trianon 1920 zu gedenken. Durch ihn verlor Ungarn aufgrund seiner Beteiligung am Ersten Weltkrieg an der Seite des Deutschen Reichs zwei Drittel seines Staatsgebietes. Diese Symbolpolitik für die Wiederherstellung Großungarns löst in den benachbarten Staaten große Sorge aus.
Die Sorge ist auch damit begründet, dass bereits Minderheiten in Ungarn strukturell diskriminiert und als Fremdartige diffamiert werden. Die Zugehörigkeit zur Nation wird allein durch eine ethnische Vorstellung definiert und hat nun Verfassungsrang. Insbesondere Sinti, Roma und Juden leiden unter dieser Feindseligkeit, weil sie als illoyal gegenüber der ungarischen Nation diskreditiert werden. Verstärkt wird dieses aggressive Klima durch die weit verbreitete Leugnung oder Relativierung der ungarischen Beteiligung am Holocaust. Unter diesen Bedingungen ist eine gesellschaftliche Veränderung zur Wiederherstellung demokratischer Mindeststandards unmöglich. Der Umbau zum autoritär-völkischen Staat trägt längst einen systematischen Charakter. Daher sind nun die EU-Staats- und Regierungschefs in der Verantwortung, Ungarn durch harte Sanktionen zu isolieren.
• Die Linksjugend [’solid] erinnert daran, dass der Beitritt Ungarns zur EU 2004 mit der Begründung erfolgte, die noch junge Demokratie zu stabilisieren. Da dieses Vorgehen keinen Erfolg hat, muss die EU nun dem Versprechen nachkommen, die Konsolidierung eines autoritären Staates durch die Anwendung seiner vertraglich festgeschriebenen Möglichkeiten zu verhindern. Hierzu zählt der Stimmenentzug Ungarns auf EU-Ebene nach Artikel 7 der Verträge.
• Ferner fordert die Linksjugend [’solid] den Stimmenentzug, um sicherzustellen, dass ein autoritärer Staat wie Ungarn keine EU-Politik über den Ministerrat betreiben kann, die unmittelbar in anderen Mitgliedsländern Wirkmächtigkeit entfalten könnte.
• Die Linksjugend [’solid] fordert insbesondere von CDU/CSU und der Jungen Union, sich für den Ausschluss von Viktor Orbáns Partei Fidesz aus dem europäischen Dachverband der EVP einzusetzen. Andernfalls tragen CDU/CSU und Junge Union eine Mitschuld am völkisch-autoritären Umbau Ungarns.
• Flüchtlinge, die über Ungarn nach Deutschland geflohen sind, werden in der Regel in das vermeintlich „sichere Drittland“ Ungarn abgeschoben. Besonders für Sinti und Roma handelt es sich aber auf keinen Fall um einen sicheren Ort, wie mehrere antiziganistische Anschläge gezeigt haben. Die Linksjugend [’solid] fordern die deutschen Behörden daher auf, Abschiebungen nach Ungarn unverzüglich einzustellen.