Beschluss des V. Bundeskongresses am 30. März bis 1. April 2012 in Berlin
Die Linksjugend Solid ist zutiefst besorgt über die politischen Entwicklungen in Ungarn. Die rechtspopulistische Regierung der Partei Fidesz unter Viktor Orbán verfolgt einen klar antidemokratischen, nationalistischen und anti-europäischen Kurs, deren ideologisches Fundament aus völkischem Autoritarismus, Antiziganismus und Antisemitismus besteht.
Tiefpunkt dieser Politik ist die seit dem 1. Januar 2012 geltende neue Verfassung. So heißt es im Artikel 15, dass sämtliche Punkte, die die Verfassung nicht ausdrücklich regelt, fortan unter der Kompetenz der Regierung stehen. Mit dieser schwammigen Formulierung erhält der Ministerpräsident Machtbefugnisse von bisher unbekanntem Ausmaß. Darüber hinaus verliert das ungarische Verfassungsgericht deutlich an Befugnissen im Verhältnis zur Regierung. Dies ist kein Zufall: Es waren vor allem die Gerichte, die der Politik der Fidesz Grenzen setzten. Nun werden die Gerichte in zunehmenden Maß mit Parteimitgliedern oder -unterstützern besetzt.
Diese Form der parteipolitischen Vergabe von Ämtern betrifft im besonderen Maße auch das kulturelle Leben: Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen wie zum Beispiel das Holocaust-Museum, das Opernhaus, das Neue Theater Budapest, alternative Kulturzentren und die Akademie der Wissenschaften sind in ihrem Bestand bedroht oder werden von Parteigängern der Fidesz übernommen. Ein weiterer trauriger Punkt ist das 2010 verabschiedete Mediengesetz, dass private Medien dazu verpflichtet, „ausgewogen“ zu berichten. Der hierfür eingesetzte Medienkontrollrat ist fest in der Hand von Fidesz und nichts anderes als ein politisches Instrument, um missliebige Berichterstattung zu verunmöglichen.
Der massive Rechtsruck Ungarns in Parlament, Justiz, Regierung, Kultur und Medien wird begleitet von einem Klima der Angst auf der Straße. Vor allem die rechtsradikale Partei Jobbik und die ihr einst angeschlossene paramilitärische Ungarische Garde (ung. Magyar Gárda) üben Druck auf Fidesz aus. Obwohl die Magyar Gárda 2008 rechtskräftig verboten wurde, operiert sie noch heute unter anderem Namen weiter. Daneben gibt es etliche Bürgerwehren in den Provinzen. Es ist eine Arbeitsteilung: Was Jobbik und Schlägertrupps auf der Straße umsetzen, wird von Fidesz im Parlament legitimiert.
Es ist daher kein Zufall, dass in der neuen Verfassung die Minderheitenrechte der Roma abgeschafft wurden. Diesem Vorgang ging eine deutlich antiziganistische Stimmung voraus. Diverse Angriffe auf die Minderheit endeten in pogromartigen Übergriffen ohne wirkliches Einschreiten der Polizei. So terrorisierten 2011 uniformierte Faschisten die Roma in Gyöngyöspata. Das Internationale Rote Kreuz musste daraufhin 300 Angehörige der Minderheit aus dem Ort retten.
Auch der Antisemitismus spielt eine zentrale Rolle in der Ideologie von Fidesz: Er ist zusammen mit dem Antiziganismus zum kulturellen Code geworden, um das autoritär-völkische Magyarentum zu definieren. Vor allem LGBT-Gruppen, FeministInnen, pro-europäische BürgerrechtlerInnen und SozialistInnen werden regelmäßig antisemitisch verunglimpft.
Skandalös sind darüber hinaus ungarische Gesetze gegen Obdachlose, die aufgrund ihrer Armut kriminalisiert werden. So werden Geldbußen von umgerechnet 200 Euro oder Gefängnisstrafen wegen Schlafens auf der Straße verhängt. Arbeitslose werden sogar zu „gemeinnützigen Arbeiten“ in Arbeitslager gezwungen. Auch dies ist eine gegen Roma und Arme gerichtete Hetzkampagne: Diese Maßnahmen treffen die verletzbarsten und ärmsten Mitglieder der Gesellschaft.
All diese erschütternden Prozesse finden ohne eine wirkliche Intervention der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten statt. Die EU steht dem autoritären Rechtsschwenk Ungarns gleichgültig gegenüber, weil alle Kräfte auf die Rettung des Euros konzentriert werden sollen. Inmitten der ökonomischen Krise ist Ungarn daher trauriges Beispiel dafür, wie ein Mitgliedsstaat seine demokratischen und sozialen Institutionen untergräbt.
Unser Vorwurf richtet sich daher insbesondere gegen die christdemokratischen europäischen Volksparteien, zu deren Schwesterpartei Fidesz gehört. Vor allem sie sind es, die Kritik an Ungarns Politik als „politische Hysterie“ (Manfred Weber, MdEP, CSU) delegitimieren. Damit wird jedoch Fidesz vor Kritik immunisiert – und kann ihren rechtspopulistischen Kurs fortführen.
Der Bundeskongress der Linksjugend Solid fordert daher:
Zur verbandsinternen Auseinandersetzung über Ungarn beschließt der Bundeskongress der Linksjugend Solid: