Linke Perspektive auf Leihmutterschaft

Beschluss des XV. Bundeskongresses am 04.-06. November 2022 in Magdeburg

Leihmutterschaft ist ein relativ neues Phänomen, neuer als Schwangerschaftsabbrüche oder Prostitution. Dadurch gibt es weniger Abhandlungen und linke Erörterungen dazu als zu anderen feministischen Themen. Bei einer Leihmutterschaft werden durch sogenannte „In-vitro-Fertilisation“ (IVF) Ei- und Samenzellen von Wunscheltern „im Glas“ befruchtet, bevor einer oder mehrere Embryos in den Uterus der Leihmutter eingesetzt werden, welche das Kind austrägt und nach der Entbindung an die Wunscheltern gibt. Es wird zwischen kommerzieller Leihmutterschaft, in welcher die Leihmutter einen Lohn für das Austragen des Babys erhält, und altruistischer unterschieden, in der das nicht der Fall ist, da sich die Leihmutter und die Wunscheltern in dem Fall meistens bereits vorher kennen. Kommerzielle Leihmutterschaft ist also eine Form der Lohnarbeit, die nur Menschen mit Uterus betrifft. Da „Leihmutter“ der typische Begriff ist, verwenden wir diesen hier, obwohl mehr Menschen als Frauen diese Arbeit übernehmen können.

Reiche Familien, die keine Kinder zeugen können oder wollen, und die keine Kinder ohne genetische Übereinstimmungen adoptieren wollen, sind die „Arbeitgeber:innen“ in der Situation, da sie für die Zeit der Schwangerschaft den Lebensunterhalt der Schwangeren finanzieren oder nach der Geburt eine zusätzliche Zahlung leisten. Leihmutterschaft ist zudem ein komplexes Thema: Die Leihmutterschaftsagenturen in Russland werben zum Beispiel oft mit der suggerierten „Nähe“ der Leihmutter und ihrer Gene zu weißen Auftraggeber:innen. Dieser Gedanke kann der Eugenik ähneln, wenn Wunscheltern sich solche Leute als Leihmütter aussuchen, welche Eigenschaften besitzen, die sie als wünschenswert bzw. gesellschaftlich angesehen bewerten. Wiederum wird öfter aus homofeindlichen Motiven unter dem Schirm der angeblichen Notwendigkeit einer Vater-Mutter-Kind-Familie gegen die Leihmutterschaft argumentiert. In Deutschland gilt aktuell das Embryonenschutzgesetz, was sowohl Eizellspende als auch Leihmutterschaft verbietet, weshalb einige Wenige in Deutschland sich für eine Leihmutterschaft im Ausland entscheiden.

Während in vielen Staaten lediglich altruistische Leihmutterschaft erlaubt ist oder es keine gesetzliche Regelung dazu gibt, ist in einzelnen US-amerikanischen Staaten, Russland, Litauen, Zypern und an Russland angrenzenden Staaten kommerzielle und altruistische Leihmutterschaft erlaubt. In Russland versuchen russische Agenturen für Leihmutterschaft mittlerweile sogar, sich auf dem Weltmarkt zu etablieren, arbeiten aber vor allem innerhalb von Russland. Die Sozialanthropologin Veronika Siegl hat in Moskau eine Feldforschung mit zehn Leihmüttern und vier Wunschmüttern durchgeführt, die an einem Leihmutterprogramm teilnehmen. Die befragten Frauen kommen nicht aus Moskau, sondern aus anderen Regionen Russlands, der Ukraine, Belarus oder zentralasiatischen Ländern. Aus den Interviews geht nach Siegl (2015) hervor, dass es sich bei kommerzieller Leihmutterschaft um eine Arbeit handelt, „die einen großen Eingriff in den Körper bedeutet und zu der man sich nur überwinden kann, wenn es notwendig ist“ [1]. Die befragten Frauen leisten Leihmutterschaft aus finanziellen Motiven, sei es, um das eigene Leben oder das ihrer Familie finanzieren zu können oder generell weniger finanzielle Sorgen zu haben. Gleichzeitig nehmen sie die Entscheidung zur Leihmutterschaft als aktive Entscheidung wahr.

Während des Prozesses der Leihmutterschaft können die Leihmütter sich (in seltenen Fällen) dazu entscheiden, das Kind zu behalten, oder die Eltern dazu, das Kind nicht anzunehmen, beispielsweise, wenn das Kind aufgrund von äußeren Merkmalen oder einer Behinderung von den Wunscheltern plötzlich nicht mehr erwünscht ist. Entscheidet sich die Leihmutter dazu, das Kind zu behalten, erhält sie allerdings nicht das vereinbarte „Honorar“, wie das in der kommerziellen Leihmutterschaft der Fall ist. Damit ist die Leihmutter in den meisten Fällen sehr stark von der einen Familie abhängig, allein schon, weil viele Leihmütter gar nicht erst das Geld hätten, selbst ein Kind großzuziehen. Dieses Machtgefälle bei Leihmutterschaft wird dadurch verstärkt, dass im Falle von Komplikationen oder Langzeitschäden durch die Geburt oder den Fötus die Schwangere nicht immer abgesichert ist, sowohl was finanzielle Kompensation als auch medizinische Behandlung angeht. Das Honorar liegt dabei in Russland im Schnitt umgerechnet in Euro ungefähr zwischen 8.000-13.200 Euro, so Veronika Siegl. Dazu komme monatliche finanzielle Unterstützung von etwa 300-400 Euro.

Im globalen Zusammenhang wird Leihmutterschaft meist in ärmeren, nicht-westlichen Ländern ausgeübt, wohingegen die Wunscheltern meist in reicheren Ländern leben. Somit ist es mittlerweile eine Form des Outsourcings der Care-Arbeit, die (globale) soziale Ungleichheit produziert. Die Reproduktion und das Gebären neuer Menschen, die generell ein für den Kapitalismus notwendiger Teil zur Aufrechterhaltung der potenziellen Arbeitskräfte sind, werden dadurch zur direkten Ware, bei der systematisch westliche Länder von den Körpern und der Arbeitskraft ärmerer Länder profitieren.

Im Kapitalismus birgt Leihmutterschaft, selbst wenn sie altruistisch geschehen sollte, immer ein finanzielles Risiko. Im Fall einer altruistischen Leihmutterschaft wird die Leihmutter zwar offiziell nicht entlohnt, aber ist dementsprechend immer noch von den Wunscheltern abhängig, die zuverlässig alle entstehenden Kosten tragen müssen – im Unterschied zu kommerziellen Modellen sind altruistische Leihmütter zumeist mit den Wunscheltern befreundet, was einen einvernehmlichen Ablauf sehr wahrscheinlich macht. Die schwangere Person kann in den letzten Monaten der Schwangerschaft und nach der Entbindung dennoch eingeschränkt, bis keine Lohnarbeit leisten und begibt sich außerdem in das Risiko, durch die Schwangerschaft körperliche Schäden zu erfahren, welche das zukünftige Berufsleben einschränken könnten.

Deshalb sprechen wir uns generell gegen die Legalisierung von kommerzieller Leihmutterschaft aus, sehen altruistische Leihmutterschaft im Kapitalismus und ohne Absicherungen kritisch und sind solidarisch mit allen Leihmüttern der Welt!

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