Beschluss des XIV. Bundeskongresses am 26.-28. November 2021 digital
„Covid-19 hat bereits bestehende Klüfte, Verwundbarkeiten und Ungleichheiten vertieft und neue Brüche, darunter auch Verwerfungen im Bereich der Menschenrechte, aufgerissen. Die Pandemie hat die Verflechtung unserer Menschheitsfamilie offenbart – und das gesamte Spektrum der Menschenrechte: bürgerliche, kulturelle, wirtschaftliche, politische und soziale Rechte. Wenn eines dieser Rechte angegriffen wird, sind andere in Gefahr.“
– UN-Generalsekretär Antonio Guterres
Bei einer Landesmitgliederversammlung der Linksjugend [’solid] Hessen im Mai 2021 hat die hessische Landespolizei mit Bußgeldern gedroht, die Mitgliederversammlung des Jugendverbands zur Auflösung gedrängt und Kontaktdaten-Listen gezwungen herauszugeben, die eigentlich für die Corona-Nachverfolgung gedacht war. Das alles geschah aus Gründen des „Infektionsschutzes“. Das Vorgehen der Polizei mit unserer politischen Versammlung verurteilen wir als Linksjugend [’solid] scharf!
Weil der herrschenden Klasse die Legitimation für ihre neoliberale Politik verloren geht, greifen sie ganz tief in die autoritäre Mottenkiste: mit Ausgangssperren und der Außerkraftsetzung der Versammlungsfreiheit. Diese massive Eindämmung demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten gehen einher mit der Erklärung, dass der aktuelle kapitalistische Zustand alternativlos sei. Gleichzeitig möchten wir als Linksjugend [’solid] zeigen wie es anders geht!
Die Corona-Krise entpuppte sich immer deutlicher als eine Krise des Kapitalismus mit all ihren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen. Der neoliberale Dreiklang aus Privatisierung, Demokratie- und Sozialstaatsabbau verwirkt das eigene Lösungsversprechen der Krise und ist darüber hinaus für die Verschärfung der Krise verantwortlich. Die aktuelle Aufrüstungspolitik in Polizei & Militär verschlingt nicht nur übriggebliebene Gelder & Ressourcen, sondern hat auch die Funktion, Eigentums- und Produktionsverhältnisse schützen sowie die außenpolitischen Aggressionen im Kampf um Märkte & Einfluss zu unterstützen. Die Antwort auf diese Entwicklung kann nur ein ausgebauter Sozialstaat sein, die zivile Demokratisierung in allen Lebensbereichen (Mitbestimmung in Universitäten, Schulen, Betrieben, im Stadtteil usw.) und damit auch die Wiederaneignung von z.B. Krankhäusern und Wohnungen. Wir sehen diese Notwendigkeit nicht nur, um kapitalisierte Bereiche zu schwächen. Besonders möchten wir die Alternative stärken: die Gemeinwohlorientierung (in Gesundheit, Bildung und Wohnen) voranzutreiben und damit auch den bereits vor Corona begonnenen autoritären Staatsumbau im Dienste des deutschen Imperialismus zu bekämpfen. Deshalb treten wir ein für Aufklärung, Demokratie und Solidarität als Lösung der Krise statt wie die Regierenden mit einer rassistischen und autoritären Polizei und Militär zu antworten. Ausgehend vom kubanischen Vorbild ist die Antwort auf eine Pandemie Gesundheit zu stärken statt repressiv zu handeln – auch international sind Auslandseinsätze von Ärzteteams statt von Bundeswehrsoldat:Innen notwendig.
Wir sind der festen Überzeugung: Es ist eine zivilisatorische Katastrophe, wenn nach über einem 1,5 Jahren Pandemie immer noch lausige Maßnahmen gewaltsam durch die Polizei durchgesetzt und als politische Kontrolle über Pandemie verkauft werden, anstatt ein gesellschaftliches Verständnis für die Situation zu erzeugen und das Gesundheitssystem mit mehr und besser bezahlten Ärzt*Innen und Pflegekräften auszustatten.
Die bisherige Corona Politik Jens Spahns lenkt ab von dem kolossalen Scheitern der herrschenden neoliberalen Politik der letzten Jahre. Die „Schuld“ für die Pandemie soll uns allen für unser individuelles Sozialverhalten in die Schuhe geschoben werden. Pandemie sei, weil wir als Bevölkerung uns nicht genug am Riemen reißen würden, weil Jugendliche unvernünftig seien oder das Problem wird gleich komplett auf Migrant:innen abzuwälzen versucht. Das alles hat einen Zweck: wir sollen uns schuldig fühlen, weil der unsägliche Umgang eine Art „Naturkatastrophe“ sei. Gegen die Natur oder uns selbst lässt sich eben schlecht eine Demo machen. Gleichzeitig werden heimlich Krankenhäuser privatisiert, die Rüstungsausgaben erhöht und an Universitäten Sparprogramme durchgesetzt, die die sozialen Rechte der Menschen massiv beschneiden. Wir als Linksjugend [’solid] fordern daher: Luftfilter für alle öffentlichen Einrichtungen, eine stärkere öffentliche Bus- und Bahntaktung (die kostenlos sein muss!), pädagogisch sinnvollere Kleingruppen in Bildungszusammenhängen und gesundes Wohnen für alle statt Massen- und Sammelunterkünfte (für z.B. Obdachlose & Geflüchtete).
Bildung, Wissenschaft und Kultur sind in diesem Sinne systemrelevant und systemänderungsrelevant: Der Kampf um die Wissenschaft ist der Kampf um die Deutung der aktuellen Krise als polit-ökonomische und damit überwindbare Krise statt der versuchten Verklärung als Naturkatastrophe oder Kriegsrhetorik. Der Kampf um die Bildung mündiger Persönlichkeiten ist der Kampf um das Begreifen der eigenen kollektiven, geschichtlichen Handlungsfähigkeit entgegen Vereinzelung und Passivierung. Kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung können durch Aufklärung und Lösungserarbeitung, durch Solidarität und Geschichtsbewusstsein zum tiefgreifenden Systemwechsel erheblich beitragen.
Die von der Regierung verordnete „Online-Lehre“ hingegen lässt Lehrkräfte plan- und mittellos vor Problemen zurück, die an Schüler:Innen und Studierende in Form von Unpersönlichkeit und verstärkter Prüfungsfixierung übertragen werden. Diese Vereinzelung verhindert nicht nur ein angemessenes Sozialleben der Lernenden, sondern auch das eigentliche Bildungs- und Wissenschaftspotenzial, das die Bildungsinstitute tragen. Lieber stützt man sich auf das nächstschlechteste Konferenzsystem von Datenriesen wie Zoom, Microsoft und Co. KG, um das neoliberale Bildungssystem um jeden Preis zu erhalten.
So wird im Brennglas deutlich, was vor der Krise schon ein Problem war. Die Klassenauseinandersetzung tobt in der Bildung und Wissenschaft zwischen Anpassung an Verwertbarkeit oder Emanzipation. Dabei haben wir es in der Hand, den Widerspruch zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen positiv aufzuheben.
Deshalb brauchen wir eine gesellschaftlich demokratische Debatte, Transparenz und Aufklärung über das richtige Vorgehen im Kampf gegen Pandemie und Zivilisationskrise, um gemeinsam eine solidarische gesellschaftliche Perspektive zu entwickeln. Die Krise lösen wir nur gemeinsam als demokratische Bürger:innen, nicht durch blindes Vertrauen in eine inkompetente Regierung. Um das (gesundheitliche) Wohlergehen aller sicherzustellen, brauchen wir eine solidarische Gesellschaft, die sich gewissenhaft für Infektionsschutz einsetzt, und eine Regierung, die ohne das gegenseitige Ausspielen von Grundrechten – die wohlgemerkt als antifaschistisches Gesamtensemble entstanden sind – für die notwendige Logistik der Pandemiebekämpfung sorgt. Dafür gilt es den kapitalgetriebenen, menschenunwürdigen Neoliberalismus in all seinen Auswüchsen zu überwinden und eine Wiederholung dieser Pandemie der Blamagen zu verhindern. Wir haben dem der Tenor dieser „Alternativlosigkeit“ eine solidarische Praxis entgegenzustellen.
Die Linksjugend [’solid] kämpft: