Gegen Repression und den Polizeistaat!

Beschluss des XI. Bundeskongresses am 13.-15. April 2018 in Erfurt

Die Linksjugend [´solid] stellt sich gegen sämtliche angesprochenen Verschärfungen und Repressionsakte. Zudem ist uns wichtig, die Kämpfe von Streikenden, Asylsuchenden und Antifaschistinnen oder anderen progressiven Kräften wie Umweltaktivistinnen oder auch kurdische Gruppen zusammen zu denken und gemeinsam zu führen. Der Trend hin zum Polizeistaat gehört gestoppt! Antifaschistischer Protest, Umweltinitiativen und ziviler Ungehorsam werden in Zukunft noch wesentlich stärker überwacht, denunziert, verfolgt und eingekerkert werden. Dagegen gilt es zu protestieren!

Wir fordern weiterhin:

  • eine externe Kontrollstelle für Straftaten durch Polizist*innen in ihrer Dienstfunktion
  • die Kennzeichnungspflicht für Polizeikräfte
  • Rücknahme sämtlicher polizeistaatlicher Gesetzesänderungen
  • die De-Militarisierung in Ausrüstung und Auftreten
  • Schluss mit der Kriminalisierung linken Protests; weg mit der Extremismustheorie!
  • ein Ende von GETEX – Übungen
  • eine stärkere Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut bei Polizist*innen

    Die Aufrüstung von Polizeieinheiten bundesweit, die stetige Zunahme an Überwachung durch Kameras, Abhörmaßnahmen, durch Speicherung von Metadaten und/oder durch die Funkzellenabfrage… Der deutsche Staat arbeitet seit Jahren mit fadenscheinigen Argumenten an einer gigantischen Überwachungs- und Sicherheitsstruktur. Erhöhte Polizeipräsenz wird damit begründet, dass die Menschen sich wieder sicher fühlen sollen und dieses Bedürfnis herbeigeredet. Dass Kriminalität sich aber nicht durch Staatsgewalt, sondern besser durch Prävention und soziale Sicherheit bekämpfen lässt, wird ausgespart. Ein Großteil der Verschärfungen wird aber ohnehin nur bei Demonstrationen -oder genauer gesagt bei ihrer Störung, Verhinderung oder Kriminalisierung – eine Rolle spielen.

    G20
    Auf Initiative des Justizministers Heiko Maas (SPD) hat der Bundestag im Eiltempo die Verschärfung der §§ 113, 114 StGB beschlossen. Ob diese Eile etwas mit dem anstehenden G20-Protest in Hamburg zu tun hatte, für welchen sich die Hamburger Polizei bereits Monate im voraus mit der Anschaffung von Panzerfahrzeugen oder der Errichtung zusätzlicher Containergefängnisse vorbereitete, kann nur gemutmaßt werden. Übereifrige Politiker der Hamburger Regierung warnten Demonstrierende davor, die Konvois der teilnehmenden Politiker*innen zu blockieren. Sie sollten sich nicht in Lebensgefahr (sic!) begeben! Die CDU forderte gar, aus der kompletten Innenstadt eine Demo-Verbotszone zu machen. Aktivist*innen, die sich zum Ziel gesetzt hatten die Hofierung von Mördern und Tyrannen im Rahmen eines Schauspiels gegenseitiger Bauchpinselei der sog. „World leaders“ zu opponieren, wurden als gewaltbereiter, Chaos verursachender „Black Block“ denunziert. Die polizeiliche Willkür und Gewalt sorgte ironischerweise für die Abwesenheit des Rechtsstaats, gerade dort, wo er zum Schutz von Demonstrations- und Meinungsfreiheit gebraucht worden wäre. Im Anschluss an die Proteste in Hamburg verrannte sich die Öffentlichkeit in die abzusehende Linksextremismus-Debatte. Die Rote Flora sollte möglichst schnell geschlossen werden, antifaschistische Demonstrationen wurden durch SEK-Einheiten begleitet und nicht zuletzt wurde in einer krassen Zurschaustellung des Ineinandergreifens gesellschaftlicher und politischer Repression die Seite linksunten.indymedia.org zwangsweise geschlossen.

    Die „härtere Gangart“
    Die reaktionären Kräfte von Polizeigewerkschaften bis zum SPD – Minister spielen bekanntlich schon länger die Platte von der stetigen Zunahme von Angriffen auf Polizist*innen. Die angeführten Zahlen geben darüber allerdings keine Auskunft. Der Universitätsprofessor Henning Ernst Müller der Uni Regensburg merkt zudem an: „Die Polizeiliche Kriminalstatistik wird von der Polizei selbst geführt und nicht unabhängig geprüft. Die Opferzahlen und insbesondere deren Steigerung können daher nicht wie ein objektives Ergebnis einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung behandelt werden, zumal hier z.B. die Gewerkschaften der Polizeibeamten seit Jahren in der Öffentlichkeit für eine Sonderbehandlung werben.“ Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg geht in seiner Analyse sogar noch weiter: Der Diskurs um Gewalt gegen Polizeibeamt*innen habe sich verselbstständigt. „Das heißt, er ist moralisch geworden. Es ist eine gefühlte Gewalt, die interpretiert wird […] und eben keine statistisch Nachweisbare.“ Ganz abgesehen davon also, ob eine Verschärfung überhaupt den gewollten Effekt hätte – für die Notwendigkeit gibt es keinerlei objektive Anhaltspunkte.
    Dennoch wurde Heiko Maas tätig. Neben der Erweiterung der Regelbeispiele im § 113 StGB  wurde im Rahmen der Reform auch der § 114 geändert. Dessen Inhalt wurde in den wiederbelebten § 115 StGB gepackt. Der § 114 bekam einen neuen Tatbestand verpasst, der den aus dem § 113 gestrichenen „tätlichen Angriff“ aufnimmt. Darunter versteht man die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf ihren Erfolg. „Tätlicher Angriff“ hört sich schlimm an, fällt meistens aber sowieso mit einer (bereits strafbaren) versuchten oder vollendeten Körperverletzung zusammen. Ist der tätliche Angriff von eigenständiger Bedeutung, ist diese unterhalb der versuchten Körperverletzung anzusiedeln, nämlich dann, wenn der Täter eine Verletzung nicht intendiert hat. Der tätliche Angriff, bei dem nicht einmal eine Körperverletzung beabsichtigt ist, gilt im Allgemeinen zu Recht als nicht strafwürdig. Die Erhöhung der Mindeststrafe von Geld- auf dreimonatige Freiheitsstrafe übersteigt allerdings sogar die Mindeststrafe für Körperverletzung (Geldstrafe). Im Endeffekt bedeutet das: Wer Polizisten, Rettungssanitäter, etc. ohne Verletzungsabsicht angeht, wird sogar härter bestraft, als wenn man eine Zivilperson mit Verletzungsabsicht angeht. Darin liegt ein enormer und drastischer Bruch mit grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaats.
    Zu bedenken ist auch: Haftstrafen sind weitaus stärkere Druckmittel als Geldstrafen. Da Menschen, die Polizeigewalt anzeigen wollen, sehr oft mit einer Gegenanzeige wegen Widerstand rechnen müssen, wird der höhere Strafrahmen der Einschüchterung und Unterdrückung von Betroffenen weiter zuträglich sein. Groß sind die Chancen ohnehin nicht. Von den über 2000 Anzeigen wegen Gewalttaten, die im Jahr 2014 ermittelt wurden, führten lediglich 50 zu einem Verfahren. In nur ca. 3% der Fälle wird dann überhaupt erst die Anklage erhoben. Verurteilt werden die Täter so gut wie nie. Von den über 2000 Anzeigen wegen Gewalttaten, die im Jahr 2014 ermittelt wurden, hatten lediglich 50 ein Verfahren zur Folge. In nur ca. 3% der Fälle wird dann überhaupt erst die Anklage erhoben. Verurteilt werden die Täter so gut wie nie.
    Der Berliner Rechtswissenschaftler Tobias Singelnstein hält dafür folgende Tatsachen für verantwortlich. „Erstens finden sich nur sehr selten Polizisten, die gegen ihre eigenen Kollegen aus- sagen; eher werden die beschuldigten Beamten sogar noch gedeckt.(…) Zweitens erweist es sich in solchen Verfahren als besonders problematisch, dass strafprozessuale Ermittlungen in der Praxis durch die Polizei selbst vorgenommen werden. Diese kann damit zumindest faktisch selbst über Umfang und Intensität bei der Suche nach Beweisen bestimmen. Dass hierbei in Verfahren gegen Kollegen oftmals nicht der größte Eifer an den Tag gelegt wird, liegt angesichts des offensichtlichen Interessenkonflikts auf der Hand. Mitunter werden die Ermittlungen in diesen Verfahren nach Berichten aus der Praxis regelrecht boykottiert.“

    Militarisierung der Polizei
    Die deutsche Polizei rüstet auf, egal ob Fußfesseln, Bodycams, Videoüberwachung oder die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Im Zuge der Terroranschläge (v.a von Paris und Brüssel) der letzten Jahren wird die Militarisierung der Polizei und die angeblich daraus resultierende Sicherheit damit begründet. Ist das Ziel wirklich die Sicherheit vor Terroranschlägen oder die Ausweitung des Polizeistaats?
    Beispielsweise gibt es seit 2017 das bundesweite GETEX-Programm (gemeinsame Terrorismusabwehr Exercise), an dem sich insgesamt 6 Bundesländer beteiligen. In diesem Programm führt die Polizei gemeinsam mit der Bundeswehr Anti-Terrorübungen durch, die dazu dienen sollen im Falle eines Terroranschlags gut vorbereitet zu sein. In Kenntnis des Art. 35 Abs. 2 GG, wird einem schnell klar, dass GETEX sehr problematisch ist. Demnach wäre eine Zusammenarbeit von Bundeswehr und Polizei, die über die bloße Amtshilfe (z.B. bei Flutkatastrophen) hinausgeht nur zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung erlaubt. Dies wäre bei einem Angriff auf den Bestand eines Landes oder des gesamten Bundes der Fall. Bei einzelnen Terroranschlägen ist dies nicht gegeben.
    Ein weiteres Beispiel für die Militarisierung der Polizei lieferte das SEK Sachsen Ende 2017. Das SEK Sachsen hatte sich nämlich zwei Radpanzer mit dem treffenden Namen „Survivor R“ „gegönnt“. In weiteren Teilen der Bundesrepublik wurden mehrfach solche Panzer bestellt, einizigartig für Sachsen war jedoch, dass sie mit einem aus dem Innenraum steuerbaren Gefechtsturm ausgestattet sind. Neben Scheinwerfer, Kameras und einer Abschussvorrichtung für Gas- und Nebelgranaten befindet sich dort auch ein Munitionskasten und ein Zuführgurt für ein noch nicht installiertes Waffensystem.  Es bleibt also nur eine Frage der Zeit bis der rechtliche Rahmen für solche Waffensysteme an Polizei-Panzern geschaffen wird. Die Sitzbezüge der Panzer erinnern sichtbar stark an NS-Ästhetik: Altdeutsche Schrift, Eichenlaubkranz und Adlerschwingen. Weiterhin gilt das SEK-Sachsen schon seit 2011 als Vorreiter der Militarisierung des Protest Policing, dh. der Bekämpfung von Demonstrationen und inneren Unruhen. Damals setzte Sachsen das SEK zur Räumung einer antifaschistischen Blockade (Proteste gegen den jährlichen Naziaufmarsch zur Bombardierung Dresdens) ein.
    Desweiteren ist Erscheinungsbild von Polizeieinheiten zu kritisieren. Das martialische Auftreten von BePo, BFE oder mittlerweile auch SEK – Einheiten auch auf völlig harmlosen Demonstrationen wirkt einschüchternd auf Passant*innen, aber auch auf Demonstrierende, die den Anblick von bis an die Zähne bewaffneten, maskierten Schlägertrupps noch nicht gewohnt sind. Die Zuspitzung der vorgeblich Sicherheitszwecken dienenden Politik, die Befugnisse der Polizei immer weiter auszuweiten und dabei gravierende Einschnitte in Sachen Datenschutz, Privatsphäre und Schutz vor polizeilicher Willkür achselzuckend in Kauf zu nehmen, erleben wir momentan in Bayern. Von der Öffentlichkeit bisher weitestgehend unbeachtet, wird dort von der CSU-geführten Landesregierung eine Neuauflage des sog. Polizeiaufgabengesetzes (PAG) auf den Weg gebracht. Der 101-seitige Gesetzesentwurf, welcher bereits diesen Sommer in Kraft treten soll, räumt den bayrischen Polizeibehörden derart uneingeschränkte Befugnisse ein, wie sie seit 1945 nicht mehr existierten. Bereits im Falle einer sog. „drohenden Gefahr“, einem juristisch äußert vagen und mangels einheitlicher Definition recht dehnbar auslegbaren Begriff, wäre es der Polizei also auch ohne jeglichen konkreten Tatverdacht möglich E-Mails und Briefe auf ihrem Weg zumr Empfängerin abzufangen und ggf. zu modifizieren, Telefongespräche abzuhören, V-Leute einzusetzen oder ein höchst umstrittenes DNA-Analyseverfahren zur Erstellung von Phantombildern einzusetzen. All das würde die bayrische Polizei schlagartig zu einer de facto geheimdienstlichen Institution „upgraden“. Zudem finden sich im neuen PAG-Entwurf Elemente einer weiteren Militarisierung der polizeilichen Organe: Künftig sollen bayrische Polizeibeamt*innen in Ausnahmefällen sogar Handgranaten zum Einsatz kommen lassen dürfen. Repression und Willkür sowie überwachungsstaatsähnliche Zustände sind vorprogrammiert, sollte das neue PAG in Bayern tatsächlich beschlossen werden und in Kraft treten. Da die CSU in der neuen Bundesregierung das Innenressort innehat, kann man sich schonmal auf entsprechende bundesweite Vorstöße gefasst machen. Die SPD wird mit ihrem aktuellen Führungspersonal – zu dem u.A. Olaf „Es-gab-keine-Polizeigewalt“ Scholz gehört – diese Entwicklung sicherlich nicht verhindern.

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