Friede den Menschen, Krieg den Gefängnissen: Strafen schaffen keine Gerechtigkeit!



Historische Analyse von Gefängnissen/ Carceralen System

Wir sehen uns mit folgender Positionierung in der langen Tradition des Abolitionismus, der durch Vordenker*innen wie Michel Foucault und Angela Davis geprägt wurde. Klar ist nämlich, dass mit einer radikalen Systemkritik auch die Kritik an all ihren Institutionen einhergehen muss. Dazu gehört zwangsläufig auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie eine Gesellschaft mit Verstößen gegen den gemeinsamen Verhaltenskonsens umgeht. Historisch lässt sich hier eine Verlagerung beobachten: von der Aushandlung eines Konflikts zwischen den Beteiligten (z.B. durch Fehden) hin zu einer staatlichen Institutionalisierung des Rechts. Dies führte einerseits zu einer Demokratisierung des Rechts. Unparteiische Gerichte, die nach allgemeingültigem Recht urteilen, verhindern Willkür und ermöglichen Gleichheit für alle Beteiligten. Andererseits wurden zwischenmenschliche Konflikte dadurch zu abstrakten Rechtskonflikten, die als Machtdemonstration des Staates dienen. Auch die darauffolgenden Sanktionen erhalten dementsprechend eine systemische Wirkung, die den Klassenwiderspruch reproduzieren.
Deutlich erkennbar wird dies durch den überproportionalen Anteil an armen und migrantisierten Personen in Gefängnissen und die unverhältnismäßig milde Sanktionierung von Wirtschaftskriminalität. Rechtlich abgesichert wird dieses System etwa durch Ersatzfreiheitsstrafen, die dazu führen, dass Menschen aufgrund kleinerer Vergehen, wie Schwarzfahren oder dem Diebstahl von Babynahrung, im Gefängnis landen, wenn sie Bußgelder nicht zahlen können. Diese Form der Gesetzeswidrigkeiten mit schwacher Intensität können als Delinquenz bezeichnet werden. Institutionell reproduziert wird es, wenn migrantisierte Personen häufiger durch Racial Profiling kontrolliert oder aufgrund von Sprachbarrieren härter bestraft werden. Auch der proklamierte Zweck der Resozialisierung erweist sich als vorgeschoben, wenn ein Großteil der Strafgefangenen aufgrund von Traumatisierung und Stigmatisierung rückfällig wird. Vielmehr dienen Gefängnisse – ähnlich wie Jobcenter und Sozialämter – dazu, das Armutsmilieu zu kontrollieren und zu steuern.
In diesen Institutionen wird ein Delinquenzmilieu geschaffen, das Marx einst dem konterrevolutionären Lumpenproletariat zuschrieb, wir jedoch als Teil des Produktionskomplexes anerkennen. Nicht nur dient der offensichtliche (und verfassungsrechtlich gestützte) Zwang zur Arbeit in Gefängnissen der Verschleierung des Zwangscharakters von Arbeit außerhalb der Gefängnisse. Darüber hinaus werden Arbeiterinnen in Gefängnissen überausgebeutet, da sie nicht einmal einen Bruchteil des Mindestlohns für ihre Arbeit in großen Unternehmen wie VW und Globus erhalten. In dieser Rolle bremsen sie dadurch den Arbeitskampf der freien Lohnarbeiterinnen.
Daher muss es für einen revolutionären Jugendverband auch ein Ziel sein, diese Gruppe von Menschen in die eigene Arbeit zu integrieren, sich mit ihnen zu solidarisieren und für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen, die letztlich nur in der Abschaffung von Gefängnissen münden kann.

Ursachen für Delinquenz bekämpfen


Aus linker Perspektive sehen wir Kriminalität nicht als individuelles moralisches Versagen oder angeborene Bösartigkeit, sondern vielmehr als komplexes soziales Phänomen, das aus einer Vielzahl von Ursachen resultiert. Es ist ein Symptom tieferliegender gesellschaftlicher Missstände, die durch das kapitalistische und patriarchale System verstärkt und/oder hervorgerufen werden. Zentral ist die Überzeugung, dass strukturelle Ungleichheit, Armut, soziale Ausgrenzung, Ausbeutung und Unterdrückung, die Haupttreiber von Kriminalität sind.
Armut ist eine der zentralen Ursachen für Kriminalität. Menschen, die in Armut leben, haben oft eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Bildung, Beschäftigung und Gesundheitsversorgung. Diese wirtschaftliche Ungleichheit sehen wir als eine der Hauptursachen von Kriminalität. Wenn Menschen aufgrund von Armut und fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten keine materiellen Ressourcen zur Verfügung haben, entsteht Perspektivlosigkeit und Verzweiflung. Diese ökonomische Unsicherheit führt dazu, dass manche Menschen sich gezwungen sehen, auf illegale Aktivitäten zurückzugreifen, um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen oder sozialen Aufstieg zu erlangen. Verschränkt ist dies mit sozialer Ausgrenzung von bestimmten Gruppen, die aufgrund von Faktoren wie Herkunft, Klasse, oder ethnischer Zugehörigkeit marginalisiert werden. Diese Menschen haben oft erschwerten Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen und sozialen Dienstleistungen, was dazu führt, dass sie in prekären Verhältnissen leben. Besonders in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und fehlender sozialer Unterstützung entsteht häufig ein Umfeld, in dem kriminelle Handlungen als einzige Möglichkeit erscheinen, um sich materiell abzusichern oder soziale Anerkennung zu gewinnen. Kriminalität häuft sich also in den Vierteln wo die Menschen leben, die vom Rest der Gesellschaft immer weiter abgehängt werden.
Psychische Gesundheit spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Kriminalität. Menschen, die unter unbehandelten psychischen Erkrankungen leiden, sind häufig einem höheren Stressniveau ausgesetzt, das zu impulsivem oder aggressivem Verhalten führen kann. Besonders bei schwerwiegenden psychischen Störungen, die mit einer gestörten Impulskontrolle oder Wahrnehmung der Realität einhergehen, steigt das Risiko für kriminelle Handlungen. Oft sind Menschen mit psychischen Erkrankungen in sozialen und wirtschaftlichen Bereichen stark benachteiligt, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie in Armut oder soziale Isolation geraten, was wie oben beschrieben kriminelles Verhalten begünstigen kann. Studien beweisen auch, dass in Armut lebende Menschen ein erhöhtes Risiko haben, psychische Krankheiten zu entwickeln. Das führt zu einem kaum durchbrechbaren Teufelskreis. Der Zugang zu psychologischer Betreuung und Therapie ist daher ein wichtiger Faktor zur Prävention von Straftaten.
Männlichkeitsnormen, die Stärke, Aggression und emotionale Unterdrückung idealisieren, fördern gewalttätiges und risikoreiches Verhalten, das oft in kriminellen Handlungen mündet. Besonders in patriarchalen Gesellschaften, in denen Männer überproportional in Machtpositionen und in Konkurrenzsituationen stehen, wird Gewalt als Mittel zur Machtdemonstration oder Konfliktlösung legitimiert. Hinzu kommt, dass Männer in prekären sozialen Verhältnissen oft stärker unter Druck stehen, traditionelle Rollenbilder zu erfüllen, was in Gewalt oder kriminellem Verhalten Ausdruck finden kann.
Suchterkrankungen sind eng mit Kriminalität verknüpft, da Süchtige häufig Straftaten begehen, um ihre Abhängigkeit zu finanzieren. Dies gilt besonders für Substanzabhängigkeiten, bei denen die Betroffenen in einen Teufelskreis aus Beschaffungskriminalität und sozialem Abstieg geraten. Gleichzeitig kann der Konsum von Drogen oder Alkohol zu impulsivem, aggressivem oder irrationalem Verhalten führen, was das Risiko von kriminellen Handlungen weiter erhöht. Suchterkrankungen gehen oft mit sozialer Ausgrenzung, Armut und psychischen Problemen einher, was die Lage der Betroffenen zusätzlich verschärft. Maßnahmen zur Prävention und Behandlung von Suchterkrankungen sind daher unerlässlich, um das Risiko krimineller Aktivitäten zu senken.
Zur Bekämpfung der Ursachen von Kriminalität setzen wir daher auf präventive Maßnahmen, die strukturelle Probleme an der Wurzel angehen. Wir wollen Kriminalität abschaffen, indem wir dem Kapitalismus den Kampf ansagen! Eine gerechte Verteilung von Wohlstand, trägt dazu bei, Armut zu verringern und den Druck zu mindern, der Menschen in die Kriminalität treibt. Investitionen in Bildung und soziale Arbeit und die Umstrukturierung unseres Bildungssystems sind ebenfalls zentrale Elemente einer solchen Präventionsstrategie. Durch den Ausbau von Schulen, Sozialprogrammen und Jugendeinrichtungen, insbesondere in benachteiligten Stadtteilen, könnten jungen Menschen bessere Perspektiven geboten werden, die sie von kriminellen Aktivitäten fernhalten.

Alternativen Aufzeigen

In den Niederlanden schließen seit Jahren immer mehr Gefängnisse und werden beispielsweise in Asyl- Zentren, gemeinschaftlich und sozial nutzbare Fläche, Büros, Schulen, Freizeiteinrichtungen, Einkaufszentren, oder tausende Wohnungen umgewandelt. Während in den 90ern europaweit die Häftlingszahlen stiegen, fielen sie in den Niederlanden. In Europa haben die Niederlanden, die niedrigste Gefangenenrate. Seit 2006 hat sich die Zahl der Insassen mehr als halbiert. Das alles ist kein Zufall, sondern liegt an zahlreiche politischen Maßnahmen. Es gibt einen starken Fokus auf Präventionsprogramme und Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Auch lockerere Drogengesetze tragen dazu bei. Richter:innen verhängen nicht automatisch Haftstrafen, sondern suchen nach Alternativen und versuchen Haft möglichst zu vermeiden. Sie verurteilen Menschen viel mehr zu gemeinnütziger Arbeit, Rehabilitationsmaßnahmen oder elektronischer Überwachung mit Fußfesseln statt auf Haft zu setzen und besitzen einen viel größeren Handlungsspielraum. Jugendliche haben durch das Programm „HALT“ die Möglichkeit bei kleineren Delikten eine zweite Chance zu erhalten statt ins Strafregister eingetragen zu werden. Sie können ihre Schuld anders begleichen als vor Staatsanwalt und Jugendrichter.
Diese realpolitischen Maßnahmen können wir uns als Beispiel nehmen für eine gerechtere Strafpoltik innerhalb des Systems, die Ursachen bekämpft und Straftaten verhindert. Unser Ziel besteht jedoch darin das derzeitige Strafsystem zu überwinden und von abstrakten Rechtskonflikten zurück zu einer Aufarbeitung interpersönlicher Konflikte zu kommen, die auf Wiedergutmachung und Einsicht setzten und unabhängig von staatlichen Strukturen funktionieren. Vorbilder dafür bieten Konzepte wie die der transformativen und restorativen Gerechtigkeit. Uns ist aber klar, dass das Gefängnissystem und der Kapitalismus sich gegenseitig stützen: Kriminalität können wir nur effektiv bekämpfen mit dem Ende des kriminellen kapitalistischen Systems!

Kurzfristige Ziele für zukünftige Kampagnenarbeit

Doch, um unsere langfristiges Ziel, das aktuelle System zu überwinden, zu erreichen, braucht es auch kurzfristige Ziele und Forderungen für unsere Kampagnenarbeit:
– Nicht Bestrafung, sondern Prävention, Wiedergutmachung, Rehabilitation, Wiedereingliederung müssen das Recht bestimmen
– Nach niederländischem Ansatz sollten Haftstrafen möglichst vermieden werden und stattdessen auf Rehabilitationsmaßnahmen, gemeinnützige Arbeit und Hilfsprogramme gesetzt werden.
– Es braucht eine verstärkte Förderung von Ausstiegsprogrammen für Menschen aus von Kriminalität geprägten Milieus, wie Prostitution und Clans geben.
– Ersatzfreiheitsstrafen müssen abgeschafft werden.
– Armut darf nicht kriminalisiert werden.
– Es braucht kostenlose Pflichtverteidiger für alle, in allen Fällen, die nicht von Richter:innen ausgesucht werden dürfen.
– Die Arbeitspflicht in Gefängnissen muss abgeschafft werden und Arbeit mit dem Mindestlohn entlohnt werden.
– Schulden müssen erlassen werden, die während der Gefängniszeit entstanden sind. Wenn Häftlinge entlassen werden, haben sie es ohnehin schon schwer sich ein neues Leben aufzubauen, sie sollten dieses nicht mit einem Berg Schulden an den Staat beginnen.
– Es braucht die Abschaffung von Jugendstrafanstalten. Ursachen für Jugendstraftaten müssen nachhaltig bekämpft werden.
– Es darf keine Benachteiligung bei der Jobbewerbung geben, sonst hat Rehabilitation keine Chance.
Strafbefehle müssen abgeschafft werden.
– Drogen müssen entkriminalisiert werden.

Handlungen

Handlungsmöglichkeiten, die wir nicht nur nach außen stellen können, sondern schon selbst umsetzen können sind:
Der BSp*R wird beauftragt:
– die Kontrollettisticker neu aufzulegen
– ein Postkartenmotiv zu erarbeiten und im Shop zur Verfügung stellen, die die Basisgruppen für Aktionen nutzen können
– Basisgruppen werden dazu aufgerufen Aktionen zu diesem Thema durchzuführen. Mögliche Aktionsformate wären:
> Auseinandersetzung mit transformativen Gerechtigkeits-Konzepten
> Teilnahmen an Solidaritätskundgebungen an Silvester
> Aktionen zum 18.03. (Tag der politischen Gefangenen)
> solidarische Prozessbegleitungen
> Briefe und Postkarten an Gefangene schreiben

Mögliche Kooperationspartner können sein:
– Freiheitsfonds
– GG/BO
– Jailmail
– Rote Hilfe
– Justice Kollektiv Berlin